Dass Hunde wie wir Menschen unter Stress leiden können, ist allgemein bekannt, doch was es damit genau auf sich hat, wollen wir im Folgenden näher betrachten.
Was ist Stress?
Stress ist ein überlebensnotwendiger Mechanismus, der es dem Hund ermöglicht, sich an Situationen anzupassen indem der Körper mehr Energie bereitstellt. In der Welt der Menschen ist der Hund sehr oft mit Reizen konfrontiert, die ihn unter Stress setzen können. Es erfordert von unseren vierbeinigen Freunden einiges an Anpassungsfähigkeit, um mit den vielfältigen Stressoren (Reize & Situationen) umgehen zu können. Viele Emotionen spielen eine Schlüsselrolle im Umgang mit Stressoren, denn sie entscheiden darüber, wie der Hund auf gewisse Reize reagiert. Heftige emotionale Reaktionen beeinträchtigen den Wahrnehmungsprozess und damit das Verhalten des Hundes maßgeblich!
Ein Stressor kann als positiv (Eustress) empfunden werden, wenn das Tier ihn als Herausforderung empfindet und ihn meistern kann, oder als negativ (Distress), wenn das Tier die Herausforderung nicht bewältigen kann und den Reiz als Bedrohung oder Kontrollverlust empfindet.
„Stress findet dann statt, wenn die Anpassungsfähigkeit eines Tieres an Umwelteffekte das Kontrollsystem überfordert und dadurch das Tier auf lange Sicht Nachteile für Gesundheit und Fortpflanzungsfähigkeit erleidet“
Donald Broom
Physiologie
Die Physiologie des Stresses
Das Stresssystem hat physische und psychische Auswirkungen und ähnelt sich bei vielen Säugetierarten stark. Die Stressreaktion unterliegt Reaktionsmustern, die auf zwei Stressachsen beruhen, die weitgehend unabhängig voneinander aktiviert werden.
1. Die schnelle Stressreaktion – Sympathikus-Nebennierenmark-Achse: Diese Achse reagiert sofort auf Belastung mit dem sogenannten Flight-Fight-System (Walter Bradford Cannon) – der Organismus bereitet sich über dieses System auf eine Bedrohung vor und das Individuum entscheidet blitzschnell, ob es flüchten oder kämpfen soll und schüttet die Botenstoffe Adrenalin und Noradrenalin aus. Das Herz-Kreislauf-System wird aktiviert, die Verdauung wird gedämpft, das Gehirn und die Skelettmuskulatur wird vermehrt durchblutet und die Blutgerinnung wird erleichtert.
2. Die langsame Stressreaktion – Hypothalamus-Hypophysen-Achse: Ist der Hund langanhaltendem Stress ausgesetzt, aktiviert sich diese Achse und schüttet die Hormone Cortisol und Corticosteron aus, wobei hier Cortisol die Hauptrolle übernimmt. Hält diese Phase länger an, beginnt der Abbau von Muskeln und Gewichtsabnahme, die Dämpfung der Sexualhormone, durch den erhöhten Stoffwechsel ist auch die Schilddrüse betroffen, die Anfälligkeit für Parasiten, Bakterien und Viren erhöht sich massiv. Bei Tierschutzhunden führt der Umzugsstress sehr oft dazu, dass sie nach dem Einzug in ihr neues Zuhause vermehrt an Mittelmeerkrankheiten (Leishmaniose, Ehrlichiose, Babesiose oder Parvovirose) leiden. Bei Welpen beobachtet man hingegen oft Verwurmungen, Giardien, Blasenentzündungen und Dermatosen nach dem Einzug ins neues Zuhause.
Chronischer Stress
Was passiert bei chronischem Stress?
Die Erschöpfungsphase: sind belastende Situationen für den Hund nicht bewältigbar und treten häufig auf, führt dies zu erheblichen Folgen für den Organismus (Diabetes, Krebs usw.). Dies wirkt sich auch stark auf die Psyche aus und zeigt sich als Depression, erlernte Hilflosigkeit, Panikattacken oder gar Selbstverletzung. Die Empfindlichkeit und die Reizweiterleitung im Gehirn werden verändert und es entsteht das sogenannte Stressgedächtnis – der Hund reagiert immer heftiger auf Stressoren. Das Hormon Cortisol bleibt auf hohem Niveau und mit jedem erneuten Stressor steigt der Wert weiter an – dies führt zu Langzeitveränderungen im Gehirn.
Die Reaktion auf Stressoren hängt von mehreren Faktoren ab:
- Die Summe der Stressfaktoren
- Kurzzeitiger/Langanhaltender Stress
- Individuelle Reaktion
- Individuelle Bewertung der Wahrnehmung (Vorerfahrungen)
- Bisherige Bewältigung von Stresserfahrungen
Mögliche Stressfaktoren bei Hunden:
Vererbte Eigenschaften: die genaue Rolle der Gene ist noch nicht sicher geklärt, wenn man aber verschiedene Rassen vergleicht, sind Unterschiede im Temperament offensichtlich und führen oft auch zur Wahl einer bestimmten Rasse.
Pränataler Stress: Ist die Hündin in der Trächtigkeit vielen Stressoren ausgesetzt, bekommen die Föten den Hormoncocktail über die Blutbahn serviert. Auch wirkt sich laut Epigenetik der Umgang der Mutter mit Stress, auf den Umgang ihres Nachwuchses mit Stress aus – ein grandioser Überlebensmechanismus!
Frühe Einflüsse: das Handling (Umgang) mit Welpen ist entscheidend dafür, wie diese später Reize bewerten und mit Stressoren umgehen werden.
Prägung und Bindung: Prägung unterliegt einem genetisch festgelegten Prozess und ist zum Teil schwer veränderbar. Die frühe Sozialisierung umfasst die Bindung zur eigenen Art aber auch die zum Menschen oder auch anderen Tieren – ein gutes Beispiel sind Herdenschutzhunde, die in Schafsherden geboren werden und sie als ihre Familie ansehen. Haben Welpen in wichtigen frühen Phasen keinen Kontakt zu Menschen, kann dies zu erheblichen Problemen im Zusammenleben führen.
Sozialisierung: sie ist für die Entwicklung und das Weltbild des Hundes entscheidend! Welpen sollten so früh wie möglich Menschen, Kinder, Geräusche, Artgenossen verschiedenster Optik usw. positiv kennenlernen.
Die Mutter: in den ersten sieben bis acht Wochen, muss der Welpe binnen kurzer Zeit die Sprache der Hunde lernen und viele andere Verhaltensweisen seiner Mutter nachahmen und übernehmen.
Soziale Kompetenz: der Welpe lernt, wie man sich Artgenossen, Menschen und Tieren gegenüber verhält, wie man kommuniziert und wie man sich integriert. Dafür sind Welpenschulen geeignet, die großes Augenmerk auf positive Sozialisierungserfahrungen legen.
Stress erkennen
Doch wie erkennst du, ob dein Hund Stress hat?
Die Anzeichen für Stress können vielfältig und von Hund zu Hund sehr unterschiedlich sein. Es ist essentiell, dass man als Hundehalter die Stressanzeichen des Hundes lesen kann um chronischem Stress vorbeugen zu können. Diese Anzeichen können einzeln oder auch in Kombination gezeigt werden, wenn der Hund gestresst ist.
- Geduckte Körperhaltung
- Speicheln – gelartiger Speichel
- hängende, nach hinten gezogene Ohren
- der Hund zittert
- Hecheln
- sich Schütteln ohne nass geworden zu sein
- Hyperaktivität
- Magenprobleme
- Rastlosigkeit
- weit aufgerissene Augen – das Weiß in den Augen ist zu sehen
- Selbstverletzung, (Schwanzjagen, Pfoten beißen)
- in die Leine beißen
- häufiger Durchfall
- vermehrtes Bellen
- vermehrtes zeigen von Beschwichtigungssignalen
- übersteigerte Aggression
Mindmap: Anzeichen von Stress
Doch wie erkennst du, ob dein Hund Stress hat? Hier unser Anzeichen für Stress Mindmap zum kostenlosen DOWNLOAD.
Stress vermeiden
Wie kannst du als Hundehalter chronischen Stress deines Hundes bestmöglich vermeiden?
Drei Empfehlungen:
- Um dem Hund adäquat helfen zu können, ist es essentiell eventuelle Stressanzeichen zu erkennen. Selbstbestimmtheit und Selbstkontrolle ermöglichen dem Hund, sich für ihn bedrohlichen Situationen in seinem Tempo zu nähern um dabei emotional stabil bleiben zu können.
- Fordere deinen Hund, aber überfordere ihn nicht.
- Wende positive und gewaltfreie Trainingsmethoden an und sei für deinen Hund stets berechenbar. Bringe deinen Hund möglichst nicht in Situationen, die er noch nicht bewältigen kann.
Interview with Turid Rugaas – Part 1 & 2. The Smiling Leash
Turid Lillegull Rugaas (geboren 1938 in Oslo) ist eine norwegische international tätige Hundetrainerin und Autorin von Sachbüchern (z.B.: Calming signals: die Beschwichtigungssignale der Hunde)
Quellenangaben & Literatur zum weiterlesen
Stress, Angst & Aggression bei Hunden – Anders Hallgren (Klick mich!)
Mein Hund hat Stress – Petra Krivy & Udo Gansloßer (Klick mich!)
Die Neuropsychologie des Hundes – James O’Heare (Klick mich!)
Stress bei Hunden – Martina Scholz & Clarissa v. Reinhardt (Klick mich!)
Video: Interview with Turid Rugaas – Part 1. The Smiling Leash (Klick mich!)
Video: Interview with Turid Rugaas – Part 2. The Smiling Leash (Klick mich!)