Zeigt dein Hund Jagdverhalten?
Der Hund als Jäger | Biologische Grundlagen | Auswirkungen der Selektion | Gibt es „das Jagdverhalten“? | Kann Jagdverhalten „abtrainieren“ werden?
Der Hund als Jäger | Biologische Grundlagen | Auswirkungen der Selektion | Gibt es „das Jagdverhalten“? | Kann Jagdverhalten „abtrainieren“ werden?
Die Frage, die wir regelmäßig zu Beginn der Arbeit mit Mensch-Hund-Teams stellen, erzeugt häufig Unsicherheit und zögernde Antworten. Im Rahmen von Junghundekursen – wenn sich die seltene Gelegenheit bietet, die Hunde unterwegs auch mal abzuleinen, ohne andere Menschen oder Tiere zu behelligen – herrscht hier stets die größte Unsicherheit bezüglich der Einschätzung des Jungspunds. Häufig sind diese Hunde vorwiegend im städtischen Umfeld unterwegs, wo gesetzliche Leinenpflicht herrscht und in ausgewiesenen Hundefreilaufzonen halten sich vernünftigerweise eher selten jagdbare Tiere auf.
Auf genauere Nachfrage ergibt sich dann oft ein klareres Bild: Jagdverhalten wird häufig erst dann als solches wahrgenommen, wenn der Mensch dieses als problematisch im Alltag erlebt. Und ab wann ein Verhalten als problematisch wahrgenommen wird, hängt wiederum stark von der individuellen Persönlichkeit des Hundehalters ab.
Jagdverhalten beginnt aber nicht erst mit der lautstark untermalten Verfolgung der Nachbarskatze, regelmäßiger längerer Abwesenheit des Hundes in wildreichen Gebieten oder dem Umgraben des heimischen Gartens.
Aber was genau beschreibt der Begriff Jagdverhalten? Und wieso zeigen die meisten unserer durchwegs gut gesättigten Haushunde dieses Verhalten, das ja in seiner ursprünglichen Form letztlich dem Erwerb von Beute = Nahrung diente?
Um diese Fragen zu beantworten, werfen wir einmal einen genaueren Blick auf die Hintergründe dieser teilweise hochspezialisierten Verhaltensweisen.
Der Wolf und somit auch der Hund ist rein biologisch betrachtet ein Beutegreifer. Auf unsere heutigen Hunde trifft das – je nach Hundetypus – nach wie vor zu. Der Erwerb von Nahrung ist überlebensnotwendig und das dazu erforderliche Jagdverhalten ist allen Hundeartigen in Grundzügen angeboren; die hündischen Sinnesorgane reagieren auf die entsprechenden Auslösereize.
Als Reaktion auf diese Auslösereize (z. B. ein kleines, flüchtendes Beutetier) wird die sogenannte Beutefangsequenz (nach Coppinger et al. 2002, 2015) aktiviert. Beim ursprünglichen Wildhund sieht diese wie folgt aus:
Diese ursprüngliche Sequenz wird an die vorhandenen Beutetiere durch Lernerfahrung angepasst, bei ursprünglichen Hunden sind die einzelnen Sequenzen in etwa gleich stark ausgeprägt. Diese Beutefangsequenz ist evolutionär stabil, da sie erfolgreich ist. Eine Gewichtung auf einzelne Abschnitte der Beutefangsequenz erfolgte erst im Zuge der Selektion durch den Menschen.
Zwischen dem Fixieren einer Beute bis zum Zerlegen steigt das Erregungsniveau des Hundes durch Dopaminausschüttung (sowie weiterer Glückshormone) kontinuierlich an und sinkt erst wieder mit dem Vertilgen der Beute durch Ausschüttung von Endorphinen. Das bedeutet, dass beim Ablauf der ursprünglichen Beutefangsequenz, dass der Hund nicht weiter nach Beute sucht, wenn er satt und zufrieden ist.
Die im Verlauf der Beutefangsequenz kontinuierlich ansteigende Dopaminkonzentration im System sorgt neben dem Belohnungseffekt auch für relative Schmerzresistenz des Hundes. Und durch die zunehmende Erregung fokussiert sich der Hund entsprechend auf den Jagdvorgang, er befindet sich also tatsächlich in einem sogenannten Tunnel und ist kaum mehr in der Lage, andere Außenreize wahrzunehmen. Biologisch betrachtet sind diese Vorgänge absolut sinnvoll, denn ein Hund, der sich auf der Jagd leicht ablenken ließe oder vor einem Dornengestrüpp abbremsen und somit das potentielle Beutetier verlieren würde, wäre kaum überlebensfähig. Im Zusammenleben mit dem jagdlich ambitionierten Hund führt dieser Tunnel oftmals zu Unverständnis, Zorn oder Verzweiflung seitens des Menschen, da der Hund in diesem Zustand erstmal auch nur schwer für unsere konditionierten Signale erreichbar ist.
Dem Neuropsychologen Jaak Panksepp und seinen Erkenntnissen aus dem Bereich des Motivations- und Emotionssystem des Hundes verdanken wir das Abweichen vom althergebrachten Modell des „Jagdtriebes“. Die Bezeichnung Trieb impliziert ein exzessives, von jeglicher Vernunft losgelöstes Verhalten. Nach Panksepp ist die Beutefangsequenz jedoch dem Emotionskreis des Seeking-Systems zuzuordnen. Dieses Seeking-System besteht nicht nur aus dem Element der Suche nach Futter, es steuert auch jegliches Such-, Erkundungs- und Neugierverhalten und sorgt dafür, dass ein Lebewesen nach etwas sucht, das es als belohnend (Dopaminausschüttung) empfindet.
Aus diesen Erkenntnissen folgt, dass das Seeking- und Jagdverhalten sich nicht isoliert betrachten lässt, es überlappen hier mehrere Funktionskreise des Verhaltens.
Im Bezug auf das Jagdverhalten hat der Mensch durch massive Selektion auf gewünschte Elemente der Jagdverhaltenskette Spezialisten geschaffen, bei denen diese Elemente ohne die Endhandlung des Vertilgens in Dauerschleife ablaufen. Dies bedeutet, dass die zunehmende Dopaminausschüttung nicht durch eine Endorphinausschüttung beendet wird.
Das Seeking – System ist bei Jagdhunden (und auch deren Mischlingen) zusätzlich dahingehend modifiziert, dass es extrem leicht aktiviert werden kann. In der Praxis bedeutet diese leichte Aktivierbarkeit, dass wir es häufig mit Hunden zu tun haben, denen entspanntes Durch-den-Wald-spazieren nicht ohne intensives Training möglich ist, weil permanent Auslösereize in der Nähe sind (Gerüche, sichtbares Wild). Das Ergebnis dieser permanenten Konfrontation kann im Falle eines entsprechend hocherregbaren Hundetypus dazu führen, dass sich in wilder Umgebung auf beiden Seite der Leine stark frustrierte Lebewesen befinden. Selbiges gilt übrigens auch für viele Vertreter der Hütehunde, die auf unspezifische Bewegungsreize hocherregt reagieren (Fahrräder, Läufer, Bälle), denn Hüteverhalten ist nichts anderes als eine modifizierte Sequenz des Beutefangverhaltens.
Bei reinrassigen Hunden ist je nachdem, für welche jagdliche Verwendung sie ursprünglich gezüchtet wurden, eine entsprechende Gewichtung auf einzelne Elemente der Beutefangsequenz zu erwarten. Ausnahmen bestätigen stets die Regel und nicht jedes Individuum einer speziellen Rasse muss das erwartete Verhalten zeigen, tendenziell ist aber davon auszugehen.
Bei Mischlingen wird das Ganze dann noch einmal spannender, weil in den meisten Fällen die Elterntiere unbekannt beziehungsweise ebenfalls schon Mischlinge waren. Häufig gibt uns das beobachtete Spektrum an Jagdverhalten Hinweise zu möglichen Vorfahren unseres hündischen Begleiters.
Einige Beispiele von Hundetypen in Bezug auf die Gewichtung einzelner Elemente der Beutefangsequenz zeigt die folgende Auflistung:
A) Spezialisten: nur wenige Elemente stark hervorgehoben, spezielle Einsatzgebiete
B) Allrounder: mehrere Elemente stark hervorgehoben, mehrere Einsatzgebiete
Wie die obige Aufstellung bereits verdeutlicht, sind Form und Funktion des durch Selektion entstandenen Jagdverhaltens divers und mannigfaltig. Auch die Intensität des Seekings variiert zwischen einzelnen Individuen, selbst wenn sie derselben Rasse angehören oder sogar Wurfgeschwister sind.
Somit wird auch verständlich, wieso die Frage „zeigt dein Hund Jagdverhalten“ manchmal durchaus nicht ganz einfach zu beantworten ist. Denn das bloße Verbellen der Nachbarskatze muss nicht zwangsläufig jagdlich motiviert sein und das Verfolgen und „in die Hacken zwicken“ eines Joggers wird häufig irrtümlich dem Aggressionsverhalten zugeordnet. Oftmals resultieren auch Beißvorfälle mit Menschen nicht aus aggressiver Motivation, sondern sind dem fehlgeleiteten Beute- also Jagdverhalten zuzuordnen.
Durch Beobachtung unserer Hunde können wir lernen, für welche Reize unsere Hunde empfänglich sind. Auch hier gibt es große Unterschiede. Einige Hunde reagieren blitzschnell auf Sichtung eines aufspringenden Tieres, sieht man etwas genauer hin, wird auch ein solcher Hund vermutlich schon im Vorfeld mehr oder weniger intensives Suchverhalten z. B. in Form von Abscannen der Umgebung zeigen. Solche Hunde sind häufig auf freien Flächen schwerer ansprechbar. Andere Hunde zeigen auf weiten, gut einsehbaren Flächen wenig Suchverhalten, geraten aber in hohe Aufregung, wenn viele Deckungen z. B. in Form von Gebüschen, Maisfeldern etc. vorhanden sind. Und wieder andere Hunde sind kaum mehr voranzubringen, wenn sie sich auf einer Wiese mit vielen Mäuselöchern befinden.
Des Weiteren unterliegt auch das Jagdverhalten dem Einfluss von Lernerfahrungen. Ein Windhund – an sich ein reiner Sichtjäger – kann in Gesellschaft von Bauhunden, die leidenschaftlich graben, ein ebenso motivierter Gräber werden. Denn: Jagen ist nicht abgetrennt vom sozialen Verhalten und nicht nur den typischen Meutehunden macht gemeinschaftliche Jagd mehr Spaß als jagdliche Alleingänge.
Wichtig ist es auch, zu erkennen, ob unser Hund Schmerzen hat (z. B. weil er in seiner Aufregung dauernd in die Leine läuft), hochgradig frustriert ist oder unter starkem Stress steht. All diese Faktoren können dazu führen, dass Jagdverhalten – manchmal auch aus dem sonst typischen Kontext gerissen – zunehmend stärker auftritt.
Zu guter Letzt widmen wir uns nun dieser sehr häufig gestellten Frage. Wenn wir uns nochmal an den Anfang dieses Artikels erinnern, handelt es sich beim Jagdverhalten um eine evolutionär stabile, angeborene Verhaltensweise. Die Intensität kann nach Rasse und Individuum stark schwanken. Außerdem wird die Art und Ausprägung des Jagdverhaltens auch durch Lernerfahrungen beeinflusst.
Wir können das Jagdverhalten also nicht einfach „abtrainieren“, aber wir können Einfluss darauf nehmen, welche Erfahrungen unser Hund macht und mit dem vorhandenen Verhalten arbeiten.
Wenn wir einen Hund haben, der in wilder Umgebung wenig „Seeking“ zeigt und sich in Gegenwart eines auffliegenden Fasans schnell wieder mit seinem Menschen beschäftigt, erleichtert das natürlich das Training. Wenn wir aber einen Hund vor uns haben, der die meiste Zeit des Spaziergangs mehr oder weniger offensichtlich Such- und Orientierungsverhalten zeigt oder beim Anblick eines Kaninchens in 400m Entfernung auf und davon ist, dann haben wir es wohl mit einem Hund zu tun, der stark jagdlich motiviert ist (Pseudojagdverhalten sei hier ausgenommen).
Als verantwortungsvolle Hundehalter können wir natürlich nicht tatenlos zusehen, wie unser Hund Wild verfolgt und schlimmstenfalls sogar verletzt. Wir können aber auch von unserem Hund nicht erwarten, dass er uns zuliebe ab dem Tag X kein Jagdverhalten mehr zeigt. Würden wir diesem Hund sämtliche Nuancen des Jagdverhalten untersagen – was in den meisten Fällen unter Einhaltung des Tierschutzgesetzes gar nicht möglich ist – würden wir ihn eines Großteils seiner Persönlichkeit berauben. Frustration und Kanalisation in andere Verhaltensauffälligkeiten wären ebenso vorprogrammiert.
Für jegliche Form des positiven Trainings am Jagdverhalten ist es erforderlich, die Interessen und die Trigger unseres Hundes gut zu kennen. Es gibt auch nicht das eine Rezept für jeden Hund. Viele individuelle Faktoren entscheiden letztendlich über Erfolg oder Misserfolg. Frühzeitiges, kleinschrittiges Training, angepasstes Setting sowie vorangegangene Generalisierung von Signalen sind Grundvoraussetzungen für gemeinsame Fortschritte.
Entscheidend für den Erfolg ist jedoch immer, von der Basis an funktional (also an das aktuelle Bedürfnis und die jeweilige Motivationslage des Hundes angepasst) zu belohnen. Denn wenn der Hund Hetzen bereits als selbstbelohnend erlebt hat, wird er sich bei der Wahl zwischen einem aus der Hand angebotenen Futterstückchens und einem flüchtenden Reh stets für Zweiteres entscheiden. Dies geschieht nicht in böser Absicht oder weil der Hund keine ausreichende Bindung zu seinem Halter hat, es liegt einfach daran, welches Verhalten lohnender ist. Und was lohnender ist, entscheidet letztendlich der Hormoncocktail im Blut unserer Hunde, die bei aller Liebe noch immer Opportunisten sind.
Mit einem jagdlich ambitionierten Hund zu arbeiten, kann herausfordernd sein, manchmal auch frustrierend. Aber wenn wir mit dem Jagdverhalten arbeiten statt dagegen, steht dem Weg zu einem schönen, spannenden und abwechslungsreichen Miteinander nichts entgegen.
Dieser Beitrag wurde von Martha Verena Höhr (Leitung der Hundeschule Willenskraft Graz & Umgebung) verfasst.
Designed by Bianca Oriana Willen (Inhaberin der Hundeschule Willenskraft & Akademie).
Anja Fiedler (Klick mich!)
Ines Scheuer-Dinger (Klick mich!)
Ines Scheuer-Dinger (Klick mich!)
Gansloßer, Adler, Braun (Klick mich!)
Karin Jansen (Klick mich!)
Pia Gröning (Klick mich!)
Bianca Oriana Willen (Klick mich!)
Martha Verena Höhr (Klick mich!)