„Kampfhunde“ – Diskriminierung aufgrund von Rassezugehörigkeit
Begrifflichkeiten | Gesetzgebung | Die Geschichte der Kriegs- und Kampfhunde | Angst erzeugt Hass | Mythen und Fakten | Schlussbetrachtung
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Begrifflichkeiten: Kampfhund, Listenhund oder…?
In Ermangelung eines neutralen Begriffes werde ich im Folgenden die Bezeichnung Listenhund verwenden. Zur Verdeutlichung der Unsinnigkeit des Begriffes „Listenhund“ bediene ich mich eines Zitates von Kurt Kotrschal (Professor an der Universität Wien und Mitbegründer des Wolf Science Center Ernstbrunn) anlässlich der Wiener Listenhunddebatte:
„… Was die Hunde auf dieser unsäglichen Liste eint, ist weder eine spezielle Aggressivität, Beißfreude oder gar Menschenhass, sondern ihre Geschichte. Es sind Rassen, die einst für den Kampf in der Arena oder Hundegrube (engl.: pit) gezüchtet wurden, wo zwielichtige Gestalten ihre Hunde um Geld gegeneinander kämpfen ließen und mit Wetten Geld gemacht wurden. …Es sind Rassen, die bullig und stämmig sind und mit einer rasselnden Eisenkette um den Hals Eindruck schinden sollen…“.
Seit etwa 20 Jahren tobt hierzulande ein wahrer Glaubenskrieg zwischen den überzeugten Liebhabern dieser Hunde und den vehementen Gegnern. Und wie so oft, versuchen sich die beiden Seiten durch Übertreibung und Hochstilisierung gegenseitig zu übertrumpfen.
Das listenhund-affine Lager beschwört die absolute Gutartigkeit und Ungefährlichkeit ihrer Hunde und versucht selbiges leider häufig mithilfe sinnbefreiter Videos, auf denen Babys mit möglichst mächtigen bullartigen Hunden gezeigt werden, zu untermauern. Oftmals turnen Babys und Kleinkinder auf den Hunden herum oder greifen in ihr Gesicht, während die Hunde deutliche Beschwichtigungssignale zeigen. Wie bei jedem anderen Hund sind solche Aktionen sowohl aus Sicht des Kindes- als auch des Hundewohles ohne Ausnahme abzulehnen und durchaus fahrlässig. Denn auch der gutmütigste Hund kann irgendwann zubeissen und die Demonstration des meist recht stabilen Nervenkostümes der Bullrassen könnte auf vielen anderen, besseren Wegen erfolgen.
Das gegnerische Lager würde es am liebsten sehen, wenn Rassen wie beispielsweise der American Staffordshire Terrier, der Pitbull oder auch der Rottweiler einfach von diesem Erdball verschwinden würden. Rigoros wird allen bullartigen Rassen eine grundsätzliche Gefährlichkeit und Aggressivität jedem Lebewesen gegenüber unterstellt, häufig ohne mehr als ein Exemplar dieser Rassezugehörigkeit persönlich zu kennen. Auf der Straße erkennt man Menschen dieser Geisteshaltung gut daran, dass sie nicht einfach zur Seite gehen, wenn ein dem Feindbild entsprechender Hund vorbeikommt. Nicht selten fühlen sie sich bemüßigt, ihre persönliche Einstellung zu diesem Tier ungefragt und beleidigend kundzutun.
Doch welche Seite hat denn nun recht? Gibt es bei diesem speziellen Thema eine Wahrheit? Und wie kam es eigentlich dazu, dass die sogenannten “Bully-Breeds” innerhalb eines Jahrzehnts auch in ihren Herkunftsländern von beliebten und häufig gehaltenen Hunden zu Paradebeispielen der hündischen Rassendiskriminierung wurden? Wie sind sie auf den unsäglichen Listen gelandet?
Im deutschsprachigen Raum nahmen durch einen tragischen Beißvorfall in Hamburg im Jahr 2000 die Dinge ihren unglücklichen Lauf. Infolge dieses Vorfalls mit zwei bereits vorher mehrfach auffällig gewordenen Hunden, die der Rasse Pitbull zugeordnet wurden, wurde deutschlandweit eine riesige Debatte losgetreten, die wenige Monate später in dem „Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde“ (später umbenannt in „Gesetz zur Beschränkung des Verbringens oder der Einfuhr gefährlicher Hunde“) gipfelte.
Wie so oft orientierten sich mehrere europäische Länder an dem Vorgehen der U.S.A (dort heißt es dann „dangerous dog act“ und breed specific legislation, kurz BSL). Und obwohl dort durch rassespezifische Maßnahmen keine signifikante Reduktion der Beißunfälle verzeichnet werden konnte, aber dafür tausende Familienhunde, die von einem Tag auf den anderen plötzlich als gefährlich angesehen und euthanasiert wurden, wurde auf politischer Ebene entschieden, dem Wunsch des Volkes nach Schutz vor diesen „kampfwütigen Bestien“ auf diese Weise nachzukommen.
Doch warum führt ein ohne Zweifel furchtbarer Unfall mit sogenannten Pitbulls (es ist nicht bekannt, welcher Rasse diese Hunde wirklich zuzuordnen waren) zu Anlassgesetzgebung, Wesenstests und Euthanasierungen, während der gleiche Vorfall mit einer anderen Rasse zu nichts dergleichen führen würde oder je geführt hat? Woher kommt die rigorose Haltung eines nicht unbeträchtlichen Teils unserer Gesellschaft, die ganze Rassegruppen ohne belegbare Erkenntnisse als gefährlich und bösartig diffamiert?
Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach zu finden, denn die Schaffung des Feindbildes “Kampfhund” war und ist ein multifaktorielles Geschehen. Menschen, die grundsätzlich Tiere lieben, können ohne mit der Wimper zu zucken die Tötung aller lebenden Listenhunde fordern.
Wer sich die Mühe macht, mit Menschen zu sprechen, in den Dialog zu gehen anstatt seinerseits mit pauschalen Aussagen zu provozieren, erfährt Interessantes: um ein Lebewesen so sehr zu hassen, dass Mitleid oder Empathie verschwindet, bedarf es einer Grundlage. Im Falle der Listenhunde ist eine sehr häufige Grundlage schlicht und ergreifend Angst! Angst ist selten rational und Angst fragt auch nicht nach objektiv belegbaren Gründen. Doch die Auseinandersetzung mit Fakten, das Kennenlernen des Gefürchteten kann dazu führen, dass irrationale Angst von Neugierde und vorsichtiger Annäherung abgelöst wird.
Sehen wir uns im Folgenden einige Fakten und Mythen an, beginnend mit der Entstehungsgeschichte des ursprünglichen Kampfhundes, beschäftigen wir uns etwas genauer mit den gesellschaftlichen Faktoren und dem Einfluss der Medien und vergleichen wir Mythen mit Fakten, die uns die Wissenschaft zu diesem kontroversen Thema bieten.
Werfen wir zu Beginn einmal einen Blick darauf, warum „Listenhunde“ einstmals „Kampfhunde“ genannt wurden und wogegen sie eigentlich kämpfen mussten:
Kriegs- und Kampfhunde wurden schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte eingesetzt. Es handelte sich dabei meist um doggenartige, große und starke Hunde mit hoher Wehrhaftigkeit. Diese wurden zum Schutz von Herden, Haus und Hof, zum Packen (Fassen und Festhalten) von großem, wehrhaftem Wild und in Kriegen eingesetzt. Erste Belege für die älteste Kampfhunderasse der Welt, die Tibetdogge, finden sich bereits 1000 V. Chr. auf babylonischen Grenzsteinen (nach Fleig; Kampfhunde – wie sie wirklich sind).
In der Antike wurden von den Römern bereits differenzierte Hundetypen hervorgebracht, die für verschiedene Zwecke genutzt wurden. Im antiken Rom gelangten die grausamen Spektakel der Tierkämpfe zu großer Beliebtheit, es wurden alle möglichen Tiere gegeneinander und auch gegen Menschen z. B. Gladiatoren gehetzt. Für den Kampf in den Arenen wurden große, starke Hunde verwendet. Dieser damals entstandene Hundeschlag gilt als Ursprung der Molosser. Der Begriff Molosser wird heute als Überbegriff für doggenartige Hundeschläge verwendet, die auf die frühen Kriegs- und Kampfhunde zurückgehen.
Mit der Erfindung der Feuerwaffen und Soldatenrüstungen verloren die mächtigen Hunde ihre Bedeutung für die Kriegsführung, sie wurden weiterhin noch zum Bewachen, Packen und Viehtreiben verwendet.
Aus dem Viehtreiben entwickelte sich der blutige „Sport“ des Bullenbeißens (bullbaiting), zu diesem Zweck wurde nun der Bulldog mit entsprechend spezialisierter Morphologie gezüchtet. Die heutigen Nachkommen des Bulldogs weisen noch immer – wenn auch häufig in grotesk übersteigerter Form – die typischen Merkmale der Bullenbeisser auf: Der vorstehende Unterkiefer ermöglichte es dem Bulldog, den einmal gepackten Bullen nicht mehr loszulassen und trotzdem weiter atmen zu können. Der gedrungene, schwere Körper machte es dem bovinen Gegner schwer, diesen Hund auszuhebeln.
Nach dem Verbot des bullbaiting und des allgemeinen Verbotes der Tierkämpfe in England 1835, fand sich keine legale Möglichkeit mehr, große Tiere gegen Hunde antreten zu lassen. So entwickelten sich neue, unauffälligere Varianten des Tierkampfes: statt Bären und Rindern wurden nun Hühner, Ratten und zuletzt Hunde gegen Hunde in den Ring gestellt. Da die Bulldogs für die Hundekämpfe nicht wendig genug schienen, was den Kampf für die breite Masse zu wenig spektakulär und dynamisch machte, wurden kleine, wendige und raubzeugscharfe Terrier eingekreuzt. Hier liegt die Geburtsstunde des bull-and-terriers. Aus diesem speziell für den Hundekampf in der pit gezüchteten bull-and-terrier entstanden später der Bullterrier und der Staffordshire Bullterrier.
Während der großen Auswanderungswelle ab 1836 nahmen die englischen Siedler ihre Hunde mit und da es zu dieser Zeit in Amerika kein Verbot zur Abhaltung von Tierkämpfen gab, konnte das Geschäft mit den Hundekämpfen uneingeschränkt florieren. Da die Hunde der Einwanderer nun auch neue Aufgaben wie den Schutz vor großen Raubtieren, wurden vermutlich Boxer oder größere Terrier eingekreuzt, um der Rasse etwas mehr Größe zu verleihen. Das Ergebnis war der Pitbull-Terrier, der damals wie heute kein einheitliches Aussehen hatte und auch unter dem Namen „Yankee-Terrier“ bekannt war.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Hundekämpfe dann auch in Amerika verboten. Sie fanden und finden aber noch immer illegal statt. Schon vor dem offiziellen Verbot spaltete sich der ursprüngliche Pitbull in eine Linie, die sich von Hundekämpfen distanzierte (Entstehung des American Staffordshire Terrier) und eine Linie, die weiterhin weniger Wert auf einheitliches Aussehen als auf Tauglichkeit in der pit legte (Entstehung des American Pitbull Terrier).
Hunde, die in der pit kämpfen mussten und immer noch müssen, sollten in der Lage sein, auch unter Schmerzen bis zum Tod zu kämpfen, der heute verwendete aus dem englisch kommende Begriff „gameness“ verweist auf diesen Ursprung. Die deutsche Übersetzung “Kampfeswille” hinkt, da damals wie heute das Angriffsverhalten dieser Hunde durch isolierte Haltung und entsprechend grausame Praktiken in der Vorbereitung auf den Kampf erzwungen wurde.
Während eines Kampfes durften die Hunde keinerlei Aggressivität gegenüber Menschen zeigen, es musste während eines Kampfes jederzeit vom Besitzer oder auch dem Schiedsrichter eingegriffen werden können; d.h. die Hunde wurden hochgehoben oder aus der Arena entfernt . Hunde, die in der Hitze des Kampfes nicht mehr zwischen Menschen und Hund unterscheiden konnten und sich gegen den Menschen wandten, wurden sofort getötet.
Gesellschaftliche Faktoren
Aggressionsverhalten hat keinen Platz in unserer Gesellschaft, das gilt für Menschen wie für Hunde gleichermaßen. Das Idealbild eines Hundes in der heutigen Zeit wäre wohl ein Lebewesen, das sich möglichst unauffällig in jede Lebenslage einfügt, weder Angst- noch Aggressionsverhalten oder gar Jagdverhalten zeigt, mit jederhund verträglich ist, ganztägig alleine bleiben kann und sich bestenfalls mit 2 kurzen Spazierrunden zufrieden gibt. Fast alle unsere Hunderassen wurden jedoch ursprünglich für einen speziellen Zweck gezüchtet, haben aber mit Ausnahme von Dienst-, Wach- oder Herdenschutzhunden keine Aufgabe mehr, die ihren Bedürfnissen gerecht wird. Erschwerend kommt hinzu, dass Haushunde in ihrem täglichen Ablauf komplett abhängig von uns sind, d.h. sie können sich auch keine Beschäftigung suchen. Und wenn sie dies doch tun, werden sie vom Menschen gemaßregelt, eingesperrt oder weggegeben, da Hunde sich selten Hobbys suchen, die dem Menschen gefallen.
Menschen versuchen also, sich Hunde auszusuchen, die möglichst unselbständig und abhängig in ihren Entscheidungen sind und somit idealerweise „brav“. Natürlich darf es Hunde geben, die vielleicht etwas mehr Eigenwillen oder Schärfe an den Tag legen, bei der Zollbehörde oder der Polizei. Die inzwischen immer häufiger in ungeeignetem Umfeld gehaltenen Herdenschutzhunde sollten bitte auch möglichst gut angepasst durch die Fußgängerzone flanieren und auf gar keinen Fall territoriales Verhalten zeigen. Da die meisten Vertreter dieses Hundetyps ebenfalls zu den Molossern gezählt werden, beobachte ich diese Entwicklung mit Sorge, denn die Vergangenheit zeigt, wie schnell v.a. molosserartige Hunde zu Listenhunden avancieren können. Allgemein wäre es auch hier hilfreich, auf die Lebens- und Haltungsbedingungen auffällig gewordene Hunde zu achten, anstatt jegliches unangepasste Verhalten ausschließlich der Rasse zuzuschreiben.
Liest man sich durch die Kommentare unter Berichten über Listenhunde, fällt auch auf, dass ca. 90% der Kommentierenden davon ausgehen, dass nur psychisch kranke Menschen und Kriminelle auf die wahnwitzige Idee kommen, sich einen Listenhund zuzulegen. Somit wäre es ja kein Verlust, wenn diese Hunde einfach verschwinden würden, sehr häufig fällt hier auch das Wort „Ausrottung“. Und genau hier beißt sich die Katze in den sprichwörtlichen Schwanz.
Bevor die systematische Verteufelung der Listenhunde begann, war z. B. der Staffordshire Bullterrier in England (wie auch American Staffordshire Terrier in den USA) die beliebteste Hunderasse, sie wurden seit jeher in kinderreichen Familien gehalten und waren dafür bekannt, besonders gelassen im Umgang mit Kindern zu agieren.
Nachdem gesetzliche Restriktionen, hohe Steuern und z.T. tierschutzwidrige Haltungsauflagen erlassen wurden, verzichteten immer mehr Menschen darauf, sich diesen Repressalien zu unterwerfen und wichen auf andere Rassen aus. Weniger beeindruckt waren die weniger gesetzestreuen Anteile der Gesellschaft, die ihre Hunde weiterhin illegal hielten und vermehrten. Und dies gilt gleichermaßen für alle Länder, in denen es zu einer ähnlichen Problematik kommt, der Pitbull, der einst ein hündischer Nationalheld der USA war, verschwindet in der kriminellen Halbwelt, wo häufiger Wert auf gut trainiertes Angriffsverhalten als auf gute Sozialisierung und Familientauglichkeit gelegt wird. Und wenn nun einer dieser entsprechend gehaltenen Hunde auffällig wird, ist der Aufschrei riesengroß, denn wieder bestätigt sich das Klischee des blutrünstigen Pitbulls, der von Geburt an böse ist.
Unwissen oder gefährliches Halbwissen
Die meisten Menschen, die sich vor Listenhunden fürchten, haben von der oben dargestellten Geschichte keine Kenntnis. Wenn man diese Menschen fragt, was genau sie sich unter einem Listenhund vorstellen, dann bekommt man ein Bild von dem, was durch die Überrepräsentation auffällig gewordener Listenhunde durch die Medien in den Köpfen dieser Menschen passiert. Das Wort Kampf(hund) wird hier mit dem Angriff auf Menschen assoziiert, eine Funktion, die keiner der modernen Listenhunde je hatte; wie weiter oben erläutert, waren Hunde, die in der Familie oder im Kampf Menschen angriffen, absolut untauglich und hätten keinen weiteren Tag mehr erlebt.
Tracey Clarke, aus der Arbeitsgruppe von Daniel Mills in Lincoln, veröffentlichte 2013 eine Arbeit, im Rahmen derer der deutliche wissenschaftliche Beleg gegen die Bestrebungen der Regierungen für rassespezifische Gesetzgebung geführt wird. Die Studie zeigt, dass Menschen durch rassespezifische Verordnungen eher ein falsches Gefühl von Sicherheit vorgegaukelt wird (durch die Abwesenheit und Sicherung von Listenhunden) und die Situation somit eher verschlimmert als verbessert.
Und was verändert das Wort „Listenhund“ statt „Kampfhund“ denn in der Wahrnehmung? Nicht viel, denn impliziert der Begriff „Listenhund“ nicht ebenso, dass es sich hierbei um Hunde(rassen) handelt, die – wohlgemerkt entgegen jeglicher wissenschaftlich fundierter Expertise – aufgrund ihrer angeblich genetisch bedingten Gefährlichkeit „gelistet“ sind und deren Haltung aufgrund pauschal unterstellter Gefährdung von Tier- und Menschenleben reglementiert oder sogar verboten ist?
Die modernen Listenhunde, allen voran die Nachkommen des „bull-and-terrier“ (Staffordshire Bullterrier, Bullterrier, American Staffordshire und Pitbull Terrier) hatten in der Vergangenheit zahlreiche Aufgaben, die denen der kleinen und großen Terrier oder Dackel nicht unähnlich waren: Schädlingsbekämpfung (v.a. Ratten), Jagdeinsätze v.a. auf wehrhaftes Wild. Zusätzlich wurden sie in „weight-pulling“ Bewerben eingesetzt. Der missbräuchliche Einsatz in der Hundekampfarena war also – entgegen der landläufigen Auffassung – nicht ihr Hauptverwendungszweck. Der auf fast allen Listen geführte Rottweiler war wiederum ein kräftiger Treibhund, außerdem wurde er im Untertagebau eingesetzt, Hundekämpfe spielten in seiner Geschichte überhaupt keine Rolle. Warum er es also auf die Liste geschafft hat, bleibt ein Rätsel.
Die Medien
In der öffentlichen Wahrnehmung ereignen sich fast täglich Beißvorfälle mit Listenhunden, doch laut einer Datenbank des amerikanischen Hundeforschers James Serpell ist unter den oberen 10 Rängen der „beisslustigsten“ Rassen der American Pitbull beispielsweise auf Platz 7 bei Angriffen auf fremde Menschen zu finden, während sich die oberen 6 Ränge Hunderassen teilen, die auf keiner Liste stehen. Staffordshire Bullterrier, American Staffordshire Terrier und Bullterrier – also Rassen, die auf jeder Liste ganz oben zu finden sind – waren in den oberen 10 Rängen überhaupt nicht vertreten.
Hinzu kommt, dass Hundebisse – vor allem solche mit fatalen Folgen – glücklicherweise ausgesprochen selten sind. Die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz erschlagen zu werden, ist hierzulande ähnlich hoch, wie die, durch einen Hund massiv geschädigt zu werden.
Tanja Große Lefert hat im Rahmen ihrer Dissertation 465 Zeitungsartikel zum Thema Beissunfälle und gefährliche Hunde aus der Berliner Presse ausgewertet. Wenig überraschend waren die Begriffe „Pitbull-Kampfhund“, „Pitbull-Mischling“, „Pitbull-Terrier“ und „American Staffordshire Terrier“ u.ä. waren im Verhältnis zu den anderen Hunderassen, die ebenso an Beißvorfällen beteiligt waren, deutlich überrepräsentiert. Daraus wird deutlich, dass die als Kampfhunde oder gefährliche Hunde bezeichneten Rassen wesentlich häufiger Erwähnung in medialen Berichten finden, als es die offizielle Beissstatistik erwarten ließe.
Dieses Ergebnis lässt sich problemlos auf Deutschland und Österreich umlegen. Schon bevor nach einem Biss ansatzweise die Rasse bekannt ist, muss schon das Symbolbild des zähnefletschenden American Staffordshire Terriers aus dem Archiv gekramt werden. Sollte man sich geirrt haben, entfällt eine Richtigstellung gänzlich oder fällt so minimal aus, dass die bereits gebildete Assoziation in den Köpfen der Menschen möglichst nicht beeinträchtigt wird.
Durchaus spannend ist auch die mediale Aufbereitung von Beißvorfällen je nach beteiligter Rasse: wenn ein Dackel einem Kleinkind mit schwerwiegenden Folgen ins Gesicht beißt, werden die Umstände berücksichtigt, die dazu geführt haben. Halterfehler, ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, unwissentliches Fehlverhalten des Kleinkindes etc. Wird zwei Tage nach diesem Vorfall ein freilaufender Kleinhund von einem angeleinten Vertreter der bullartigen Rassen gebissen und muss tierärztlich versorgt werden, wird nicht hinterfragt, wie es dazu gekommen ist. Der beissende Hund ist schuldig aufgrund seiner Rassezugehörigkeit.
Wen wundert es, angesichts all dieser Punkte, dass ein Hundetyp, der immer wieder als das personifizierte und per Geburt gefährliche Böse dargestellt wird, Angst bei den Menschen auslöst?
Glaubt man diversen Medien, verfügt gerade der Pitbull über beeindruckende Fähigkeiten: er besitzt eine Kiefersperre ähnlich einer Schlange, die verhindert, dass er loslässt, wenn er einmal zugebissen hat. Weiters besitzt er die allerhöchste Beißkraft überhaupt und außerdem ist er schon als Welpe ausgesprochen aggressiv gegen alles und jeden. Das liegt einzig und allein in den Genen, oder vielleicht nicht?
Aggressiv von Geburt an?
Aggressionsverhalten gehört zum natürlichen Verhaltensrepertoire eines jeden Säugetiers und trägt zu seinem Überleben durch Ressourcensicherung, Feindabwehr etc. bei. Aggressives Verhalten dient in feinen Nuancen der Kommunikation zwischen Individuen.
Aggressionsverhalten ist ein multifaktorielles Verhalten, „die Aggression“ gibt es nicht. Wir unterscheiden grundsätzlich offensive und defensive Aggression, wobei selbst Verhaltensexperten nicht immer in der Lage sind, diese Unterscheidung zu treffen bzw. ob das eine in das andere im Zeitverlauf umgewandelt wurde. Weiters kann Aggressionsverhalten in Kategorien unterteilt werden, so z. B. Futteraggression, Aggression gegen Fremde (Menschen), gegen Familienmitglieder, gegen Artgenossen etc.
Häufig wird Aggression auch fälschlicherweise mit (fehlgeleitetem) Beutefangverhalten gleichgesetzt, obwohl dieses einem völlig anderen Verhaltenskreis zuzuordnen ist.
Hunderassen zeigen genetisch bedingte Unterschiede in Teilen ihres Verhaltens, andernfalls wäre Zucht und Selektion nutzlos.
Allerdings ist der genetische Einfluss auf Wesensmerkmale sehr unterschiedlich und differenziert auch unter den Vertretern einer Rasse. Im Vergleich zur Erblichkeit phänotypischer Merkmale wie Aussehen, Augenfarbe etc. ist der Anteil der genetisch determinierten Unterschiede im Verhalten jedoch wesentlich geringer.
Aktueller Stand der Forschung ist, dass nur ein geringer Anteil der Verhaltensmerkmale genetisch (also von Geburt an) fixiert sind, während der Großteil von Epigenetik und der Umwelt bestimmt werden.
Der Klade Mastiff (also den bullartigen Rassen) wird offensichtlich eine höhere generelle Aggressionsbereitschaft attestiert als den Vertretern anderer Rassen. Doch gibt es hierzu auch belegbare Daten?
In einer Arbeit, die von Tina Johann im Rahmen ihrer Dissertation (Untersuchung des Verhaltens von Golden Retrievern im Vergleich zu den als gefährlich eingestuften Hunden im Wesenstest nach der Niedersächsischen Gefahrtierverordnung vom 5.7.2000 (tiho-hannover.de)) durchgeführt wurde, untersuchte sie mögliche Unterschiede von Golden Retrievern im Vergleich zu den als potentiell gefährlich eingestuften Hunden (aufgrund Rasse) im Hinblick auf unangepasstes Aggressionsverhalten. Das Ergebnis dieser Studie zeigte deutlich, dass es keinen signifikanten Unterschied im Hinblick auf inadäquates Aggressionsverhalten in Situationen des Wesenstests nach der Niedersächsischen Gefahrtierverordnung zwischen den getesteten Golden Retrievern und den getesteten Angehörigen der Rassen American Staffordshire Terrier, Bullterrier, Dobermann, Rottweiler etc. gab.
Zahlreiche Studien (unter anderem auch jene die im Vorfeld der verschärften Listenhundregelung in Wien 2019 (Listenhunde („Kampfhunde“) – Übersicht und Vorgaben (wien.gv.at)) in Auftrag gegeben, von der Veterinärmedizinischen Universität Wien durchgeführt und dann ignoriert wurden) belegen unabhängig voneinander, dass inadäquates Aggressionsverhalten nicht generell mit bestimmten Rassen in Zusammenhang gebracht werden kann (Microsoft Word – Endbericht-Hunde-07.03.2019-LF (1) (oekv.at)).
Hinzu kommt: Es werden seit vielen Jahrzehnten keine „Kampfhunde“ in seriösen Zuchten benötigt, selektiert wird auf Wesensfestigkeit, Nervenstärke und Familientauglichkeit. Sogar Hunde, die aus speziell für den Missbrauch als Kampfhunde gezogenen Linien stammen, sind keinesfalls durchwegs auffällig im Sozialverhalten. Dies konnte bei einer Beschlagnahmung von 500 Pitbulls im Südwesten der USA gezeigt werden. Die meisten dieser Hunde zeigten keine übersteigerte Form des Aggressionsverhaltens und konnten erfolgreich vermittelt werden (aus „Molosser und sogenannte Listenhunde – die verurteilten Kompakten; Udo Ganslosser und Sophie Strodbeck).
Wenn die Listenhunde verschwinden oder gesichert werden, gibt es weniger Beißunfälle?
Sehen wir uns doch einfach einmal Dänemark, einen Vorreiter in puncto Rasselisten, an. 2010 erließ Dänemark das strikteste Hundehaltungsgesetz in Europa, um die Anzahl der Beissunfälle herabzusetzen. Zu diesem Zweck wurden 13 Hunderassen auf eine Liste gesetzt, die bedeutete für 11 Hunderassen, dass sie hinkünftig weder eingeführt noch gezüchtet werden durfte und alle Rasseangehörigen hinkünftig dauerhaft mit Leine und Maulkorb zu sichern war. Und für die Angehörigen von 2 Hunderassen, nämlich Tosa Inu (der übrigens ursprünglich für Ringkämpfe gezüchtet wurde und während dieser Kämpfe überhaupt nicht Beißen durfte) und Pitbull Terrier bedeutete diese Liste ihr sofortiges, behördlich angeordnetes Ableben. Wohlgemerkt, es handelte sich nicht um auffällig gewordene Hunde, sondern sie wurden getötet, weil sie einer der beiden Rassen angehörten, die per Gesetz von heute auf morgen als besonders gefährlich eingestuft wurden.
Und das Ergebnis dieser Gesetzesänderung: Weder auf privatem noch auf öffentlichem Grund gab es seit Einführung der Liste statistisch signifikante Unterschiede in der Bisshäufigkeit, es gab genauso viele Verletzte wie vorher. Dieses von anerkannten Kaniden-Forschern vorhergesagte Ergebnis beirrt Dänemark bis heute nicht.
Es gibt wenig Studien, die sich damit befassen, ob einzelne Hunderassen tendenziell unverträglich mit ihren Artgenossen sind. Stützt man sich hier auf die Erfahrungswerte von Hundehaltern und Hundetrainern, gelangt man zu der Erkenntnis, dass die innerartliche Verträglichkeit von adulten Hunden, die einer gelisteten Rasse angehören, etwas geringer sein könnte. Häufig wird dies als „selektive Verträglichkeit“ bezeichnet, d.h. ein Individuum ist mit Hundefreunden oder mit Hunden im gleichen Haushalt völlig unproblematisch, zeigt aber eventuell häufiger agonistisches Verhalten in Begegnungen mit Fremdhunden.
Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen, eine international anerkannte Expertin für Hundeverhalten, die zahlreiche Fachpublikationen und Bücher zu diesem Thema herausgegeben hat, nimmt zu diesem Thema wie folgt Stellung:
„Bei Hunden vom „Pitbull-Typus“ eskalieren Konflikte u.U. deshalb schneller, weil die Kooperationsbereitschaft Artgenossen gegenüber aufgrund früherer Selektion herabgesetzt sein kann, was zudem eine Kommunikation bezüglich der aggressiven Motivation oder Intention unterdrückte, weshalb scheinbar überraschender zugebissen wird.“
In der Praxis bedeutet dies, dass dieser Hundetyp seltener lautstark knurrend und bellend Artgenossen auf Abstand hält, sondern eher subtil und leise droht. Wenn diese Form der Kommunikation vom Gegenüber nicht verstanden wird, kann es aufgrund der oben beschriebenen herabgesetzten Toleranz gegenüber Artgenossen zur Auseinandersetzung kommen.
Diese Beobachtung gilt selbstverständlich nicht für jeden Hund, der zur Mastiff-Gruppe gezählt wird, aber wir können in unserer praktischen Arbeit als Hundetrainerinnen beobachten, dass bei vielen Individuen dieses Hundetypes das Drohverhalten gegenüber Artgenossen für ungeübte Betrachter sehr leise, schnell und unauffällig abläuft. Somit scheint eine Auseinandersetzung dann für den Laien oftmals sprichwörtlich aus dem Nichts zu kommen, da die nuancierte Drohmimik nicht entsprechend erkannt wird. Diese Beobachtung lässt sich auch auf wenig bellfreudige Hundeindividuen, die aufgrund morphologischer Besonderheiten wie sehr langes Fell, Faltenbildung etc. eingeschränkt sind, übertragen.
Es obliegt der Verantwortlichkeit des Hundehalters, seinen Hund gut lesen und einschätzen zu können. Dies gilt für jeden Hund, unabhängig von Rassezugehörigkeit! Jedoch wäre es wünschenswert, dass gerade Halter von Hunden, die pauschal vorverurteilt werden, sich dessen bewusst wären und ein möglichst gutes Beispiel geben würden. Jeder Hundehalter sollte seinen Hund stets so anleiten und ggf. absichern, dass niemand sich durch den eigenen Hund belästigt oder bedroht fühlt. Im Sinne einer positiven Wahrnehmung gilt dies für Halter von Listenhunden noch einmal mehr!
Es gibt – wie bereits erwähnt – keine Veranlassung, davon auszugehen, dass Listenhunde grundsätzlich nicht verträglich mit Artgenossen wären. Tendenziell scheint aber zumindest die Toleranz gegenüber ihresgleichen häufig etwas herabgesetzt zu sein. Ein Grund dafür könnte sein, dass Listenhunde bereits als Welpen auch in Bundesländern ohne Rasselisten bei Welpenkursen immer wieder abgelehnt werden oder nicht mit den anderen Welpen spielen dürfen. Und auch während der Junghundephase kann man häufig beobachten, wie sich Hundewiesen abrupt leeren, wenn ein Vertreter der Listenhunde erscheint, obwohl er sozial verträglich agiert und sich in vorhandenes Spiel gut integriert.
Positive Sozialkontakte mit anderen Hunden von Welpenbeinen an sind für jeden Hund wichtig, für die Mastiff-Gruppe vielleicht noch ein bisschen wichtiger. Wenn Hundekontakte frühzeitig positive Erfahrungen schaffen, steht einer Verträglichkeit mit Artgenossen im Erwachsenenalter wenig entgegen. Für alle Hunde gilt, dass während der entscheidenden Sozialisationsphase in den ersten Lebenswochen und -monaten die positive Interaktion mit verschiedenen Menschen und Hunden, das Erleben unterschiedlicher Reize gewährleistet werden sollte.
Hunde, die geeignete Coping-Strategien im Umgang mit Stressauslösern frühzeitig gelernt haben, kommen in unserer Umwelt deutlich besser zurecht als ihre Artgenossen, deren Sozialisierungserlebnisse mangelhaft oder negativ behaftet waren.
Zum Abschluss unserer Mythen- und Faktenreise fassen wir zusammen, worüber in Fachkreisen offenbar Einigkeit herrscht:
Dieser Beitrag wurde von Martha Verena Höhr (Leitung der Hundeschule Willenskraft Graz & Umgebung) verfasst.
Designed by Bianca Oriana Willen (Inhaberin der Hundeschule Willenskraft & Akademie).
Dr. D. Fleig (Klick mich!)
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U. Gansloßer, S. Strodtbeck – Schweizer Hunde Magazin (Klick mich!)
Dr. U. Feddersen – Petersen (Klick mich!)
Dr. Hand Mosser – Wuff 03/2019