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Dieser Beitrag wurde von Martha Verena Höhr (Leitung der Hundeschule Willenskraft Graz & Umgebung) verfasst.
Designed by Bianca Oriana Willen (Inhaberin der Hundeschule Willenskraft & Akademie).
Mythen über Hunde, Hundeerziehung und Hundetraining gibt es unzählige. Wenn man mit Hunden und deren Menschen arbeitet, reicht es jedoch nicht, eine Meinung zu haben und diese kundzutun. Als HundetrainerIn ist es eine unserer Aufgaben, den Hundehaltern schlüssig und faktenbasiert zu erklären, warum manche Ansätze nicht ganz stimmig sind und natürlich in Folge alternative Herangehensweisen vorzuschlagen.
Wir haben im Folgenden einige der häufigsten Mythen, mit denen wir in unserem Traineralltag konfrontiert werden, kompakt zusammengefasst.
Ob wir es nun mit einem sehr ängstlichen Hund, einem umweltunsicheren oder einem eher aggressiv agierenden Hund zu tun haben, die Gewöhnung durch überfordernde Konfrontationen, permanente Reizüberflutung und/oder ständiges unkontrolliertes in-Situationen-Hineinlaufenlassen funktioniert de facto nicht.
Unbestritten gibt es Lernen durch Habituation – also die Gewöhnung an einen häufig auftretenden Reiz. Doch die Grundvoraussetzung für die Habituation ist, dass der Hund diesen Reiz als neutral erlebt.
Und hier liegt das Problem schon direkt vor uns, wir betrachten eine beispielhafte und nicht allzu seltene Situation: Wenn sich ein Hund mehrfach erschrocken hat, wenn ein Radfahrer von hinten mit hoher Geschwindigkeit vorbeigerast ist, stuft das Gehirn diesen Reiz als bedrohlich ein und je nach individueller Persönlichkeit wird der Hund zukünftig entweder mit Vermeidung, Flucht oder Angriff reagierten, um der Bedrohung auszuweichen bzw. diese zu vertreiben. In jedem Fall ist das Auftauchen eines Radfahrers nun definitiv nicht neutral bewertet und je öfter der Hund in einer solchen Situation sich selbst überlassen wird, desto heftiger wird die Reaktion ausfallen.
Ein weiteres Beispiel, das viele HundehalterInnen aus dem Alltag nur allzu gut kennen, ist das sogenannte Leinenpöbeln. Möglicherweise hatte der Hund jahrelang kein Thema mit Begegnungen an der Leine, hat es von klein auf gelernt, an andren Hunden ruhig vorbeizugehen und ist im Freilauf absolut verträglich. Doch eine oder zwei unangenehme Begegnungen, in denen dieser Hund vielleicht selbst angebellt oder angeknurrt wurde und sich aufgrund der kurzen Leine oder mangelnden Platzes zum Ausweichen unwohl oder ausgeliefert fühlt, kann – je nach Persönlichkeit – bereits ausreichen, um Hundebegegnungen zukünftig als bedrohlich einzustufen und entsprechend distanzforderndes Verhalten zu zeigen. In so einem Fall hat dann das Gegenteil von Habituation stattgefunden: ein bisher als weitestgehend neutral eingestufter Reiz wird negativ besetzt, diesen Prozess bezeichnet man dann als Sensitivierung/Sensibilisierung.
Wird sich also der Hund aus Beispiel eins oder zwei im Laufe der Zeit einfach an den auslösenden Reiz gewöhnen? Nein! Können wir durch angepasste Trainingsstrategien, zeitweise Unterstützung bzw. Management dem Hund helfen, den Reiz wieder als neutral einzustufen oder ihm zumindest Bewältigungsstrategien vorstellen, um besser mit solchen Situationen zurechtzukommen? Ja, aber eben nicht nach dem Motto: „Da muss er durch, der gewöhnt sich schon“!
Grundsätzlich ist die Angst eine wichtige Emotion, sie kann in potenziell gefährlichen Situationen Leben retten und schützt vor allzu großer Neugierde. Wer schon einmal einen Junghund durch die Adoleszenz begleitet hat, kennt sowohl entwicklungsbedingt plötzlich auftretende Angstphasen als auch die übermäßige Exploration bei mangelnder Vorsicht.
Schwierig wird es erst, wenn der Hund aufgrund mangelnder oder schlechter Erfahrungen, Stresshormoncocktail der Mutterhündin, Traumata und/oder einer entsprechenden grundsätzlich eher vorsichtigen und unsicheren Persönlichkeit, übermäßige – also der Situation nicht angepasste Angst zeigt. Hier wird vielfach geraten, die Angst des Hundes doch einfach zu ignorieren, da anderweitig der Hund in seiner Annahme bestätigt würde, die Situation sei tatsächlich gefährlich. Warum dieser Ratschlag nicht hilfreich ist, sei ebenfalls an einem Beispiel erklärt:
Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich unterwegs in einer angsteinflößenden Situation in Begleitung eines nahestehenden Menschen. Was würde Ihnen helfen, diese Situation zu meistern? Wenn Ihre Begleitung Ihre Angst nicht zur Kenntnis nimmt, ihre Bedenken ignoriert und sie weiterschleift, obwohl Sie sich mit Händen und Füßen wehren und sie in Panik verfallen? Oder wenn sich die Person ruhig und freundlich Ihre Angst zur Kenntnis nimmt, mit Ihnen stehen bleibt und Ihnen die Möglichkeit gibt, sich auf Abstand ein Bild von der Lage zu machen, um dann gemeinsam mit Ihnen den Weg fortzusetzen?
Für unsere Hunde ist die zweite Möglichkeit das Mittel der Wahl, dieses Verhalten wird als „social support“ bezeichnet und schließt verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung ein wie ruhiges Abwarten, Distanz zum Auslöser herstellen, Körperkontakt anbieten (Oxytocin beruhigt), Rückendeckung geben oder Vorausgehen etc. Die Unterstützungsmaßnahmen variieren natürlich, je nachdem, in welchem Umfeld man sich befindet und was der Auslöser der Angst ist.
In jedem Fall schadet es dem Vertrauensverhältnis, wenn wir unseren Hund in angstbehafteten Situationen sich selbst überlassen und ihn ignorieren oder durch Konfrontation überfordern. Wenn wir uns wünschen, dass unser Hund in uns vertraut und erfährt, dass wir im Alltag gute Entscheidungen treffen, kann er sich an uns orientieren und in schwierigen Situationen auf unseren Rückhalt vertrauen.
Mit dieser interessanten Aussage wurde ich selbst im Bekanntenkreis häufig konfrontiert, als ich unsere Entscheidung, eine American Staffordshire Mix Dame aus dem Tierschutz aufzunehmen, freudig mitteilte. Ungefragt wurden mir gleich die passenden Anlaufstellen für das Training, das „so ein Hund“ benötigt, mitgeteilt, versehen mit der Warnung, diesem Hund ja rechtzeitig und unmissverständlich mit entsprechender Methodik zu zeigen, wer das Sagen hat. Ungeachtet der Tatsache, dass ich mich selbstverständlich mit der Rasse beschäftigt hatte und auch einige Vertreter persönlich kenne und kannte – die diesem Urteil übrigens auch nicht zustimmen würden – habe ich mich natürlich nicht dem empfohlenen Weg zugewandt (bei Interesse nachzulesen auf unserer Homepage: ). Ebendiese „hilfreiche Empfehlung“ bekommen häufig selbstverständlich auch die Halter von Schäferhunden, Herdenschutzhunden etc.
Aber beleuchten wir diese Behauptung einmal sachlich: Klar ist, dass unterschiedliche Rassen zu unterschiedlichen Zwecken selektiert wurden. Je nach ursprünglicher (auch missbräuchlicher: Stichwort Kampfhund) Verwendung wurde bei der Zucht besonderes Augenmerk auf die zur Aufgabenerfüllung notwendigen bzw. gewünschten Eigenschaften gelegt. Logisch, ein Wachhund, der Fremde freudig begrüßt ist ähnlich hilfreich wie ein Dackel oder Terrier, der vor dem wehrhaften Beutetier zögert oder panisch flüchtet. Letztere wären wohl kaum mehr zur Fortpflanzung gekommen, da frühere jagdliche Einsätze nicht besonders zimperlich verliefen und Individuen, die Fuchs, Marder oder Ratte nichts entgegenzusetzen hatten, schlicht nicht überlebten.
So weit, so klar! Hunde, die seit Jahrhunderten auf Kooperation mit dem Menschen getrimmt wurden, sind auch heute noch in den meisten Fällen deutlich weniger eigenständig (eine Eigenschaft, der wir häufig unter der Bezeichnung „stur“ begegnen) als ihre selbständig jagenden oder wachenden Kollegen. Aber muss man deshalb davon ausgehen, dass ein Hund einer bestimmten Rasse automatisch härter (im Sinne von strafbasiertem Training) zu behandeln ist als ein Hund einer anderen Rasse?
Die Antwort hier ist klar: Nein! Erstmal ist ganz klar festzuhalten, dass nicht alle Rasseangehörigen wesensgleich sind. Wie sich die Persönlichkeit eines Hundes entwickelt, hängt zu einem großen Teil davon ab, wie er aufwächst, was er lernt und welche Verhaltensweisen durch seine Umwelt verstärkt werden (bewusst oder unbewusst). Die Wahrscheinlichkeit, dass sich rassespezifische Anlagen wie Hüteverhalten, Jagdverhalten, Territorialität, innerartliche selektiver Verträglichkeit etc. zeigen, wird von Rasse bzw. dem Rassemix beeinflusst. Entscheidend ist aber in erster Linie, wie wir als Menschen mit diesen Anlagen umgehen und was wir fördern, welche frühe Sozialisation das Individuum erfährt und inwieweit wir das Lebensumfeld des Hundes so gestalten, dass ein gutes Zusammenleben für Mensch und Hund möglich ist.
Braucht ein eigenständiger Typus Hund häufig klare Grenzen und verzeiht weniger Fehler in der Erziehung als ein klassischer Gesellschaftshund? Ja, absolut möglich. Die Kooperationsbereitschaft von Hunden, ungeachtet ihrer Rassezugehörigkeit, wird aber stets durch positive Verstärkung deutlich erhöht, während übergriffige Erziehungsmethoden und Beharren auf sturer „Kommandoausführung“ gerade bei den selbständigen, wesensstarken Hunden dazu führen, dass die Zusammenarbeit quittiert wird.
Unnötige Härte, Ungerechtigkeit oder strafbasiertes Arbeiten haben bei keiner Hunderasse eine Berechtigung! Wichtiger wäre es, sich vor der Anschaffung eines Hundes damit auseinanderzusetzen, was wir von unserem zukünftigen Familienmitglied erwarten. Und last but not least: kein Hund ist ein Wunschkonzert, genauso wenig wie Freunde oder menschliche Familienmitglieder, manche Eigenschaften dürfen wir also lernen, zu akzeptieren, zu respektieren und verständig mit ihnen umzugehen.
Viele althergebrachte, auf fehlerhaften Gehege-Experimenten beruhende Erziehungsweisheiten sind auch viele Jahre nach deren öffentlicher Widerlegung bzw. Modifizierung auf Basis neuerer Erkenntnisse aus der Forschung noch immer in den Köpfen der Menschen existent.
Gerade, wenn Menschen Schwierigkeiten mit ihren Hunden haben und überfordert sind, wird in der Verzweiflung auf solche Methoden zurückgegriffen.
Es gibt bereits diverse Literatur, wissenschaftliche Arbeiten, Feldforschungsstudien etc., die sich mit der Thematik der fehlerhaft ausgelegten Dominanztheorie auseinandersetzen, wir wollen uns daher nur kurz die drei oben genannten Methoden ansehen und klären, warum sie im modernen Hundetraining absolut nichts mehr zu suchen haben:
Und nun lieber schnell zu den Fakten: Weder Wölfe noch Wildhunde wenden Alpha-Würfe an, es handelt sich um ein rein menschliches Konstrukt! Sowohl in Wolfs- als auch in Hunderudeln gibt es genügend deutlich subtilere Handlungsweisen, um anderen Gruppenmitgliedern Grenzen aufzuzeigen oder sie auf Distanz zu halten. Das „auf-den-Rücken-drehen-und-den-Bauch-präsentieren“ als submissive Geste wird bei Wölfen und Hunden ausnahmslos freiwillig gezeigt, selbst im Rahmen eines Konfliktes wird niemals der Hund, der einen höheren Sozialstatus anstrebt oder bereits innehat, sein Gegenüber in diese Position zwingen!
Wir sehen also, dass Menschen, die sich ihrem Hund gegenüber so verhalten, im besten Fall von diesem als unberechenbar und gefährlich eingestuft werden können. Im schlechteren Fall wird ein derart gewaltvolles Ritual einen wehrhaften Hund dazu provozieren, dass er tatsächlich angreift; dies nicht, weil er die Weltherrschaft anstrebt, sondern weil er sich gegen unangemessenes, grausames Verhalten verteidigt.
Anders als der Alpha-Wurf kommt er jedoch in einer deutlich abgeschwächten Form in einem andren Kontext, als er häufig bei Erziehungsversuchen angewandt wird, tatsächlich vor. Schnauzenzärtlichkeiten werden im sozio-positiven Kontext sehr häufig beobachtet, gerade bei Welpen oder Jungtieren kann es bei groben Überschwänglichkeiten im Zuge dessen auch dazu kommen, dass das erwachsene Tier das Mäulchen des Jungtieres sanft umschließt, um Grobheiten zu korrigieren. Schnauzenrangeln ist häufig Bestandteil von spielerischen Sequenzen. Zu beachten ist jedoch, dass dieses Umfassen der Schnauze immer in einem ursprünglich sozio-positiven Kontext gezeigt wird, sehr sanft ausgeführt wird und immer durch freundliche Interaktion wie Schnauze lecken oder knabbern beendet wird.
Auf uns Menschen ist diese Form der Kommunikation aufgrund der oben beschriebenen Punkte nicht übertragbar, im Gegenteil, wenn der Welpe zu wild beißt, würde der Griff plötzlich ohne Vorwarnung und auch nicht vergleichbar sanft erfolgen, weiters fehlt der genannte Kontext der freundlichen Kontaktpflege davor und danach. Wir würden den Welpen also erschrecken und somit eher zum weiteren (Abwehr)beißen animieren, die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme ist also ebenfalls nicht gegeben.
Der Hund empfindet daher beim Nackenschütteln Lebensgefahr! Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Die Gründe, warum Hunde sich weiter oder längerfristiger von ihren Menschen entfernen als gewünscht – also umgangssprachlich abhauen – sind vielfältig. Verschiedenste Faktoren können Auslöser für dieses Verhalten sein. Um nur einige zu nennen:
a) Jagdverhalten: Suchen, Folgen, Hetzen von Wild oder Wildfährten
b) Sexualverhalten: Suche nach paarungsbereitem Partner, häufiger von Rüden als von Hündinnen gezeigt
c) Explorations- oder Kontaktverhalten
d) Frustration und mangelnde Bedürfnisbefriedigung im Alltag oder/und auf dem Spaziergang
e) Flucht
f) Treib- und Hüteverhalten (fehlgeleitet auf Jogger, Radfahrer etc.)
g) Langeweile
Eine gute Bindung entsteht aus vielen kleinen Mosaiksteinchen, zu denen unter anderem Vertrauen, Berechenbarkeit, Schutz, Sicherheit, verständliche Kommunikation, Fairness etc. gehört. Der Begriff der Bindung wird allerdings häufig überstrapaziert, wenn es um Themen wie Kooperationsbereitschaft, Orientierung am Menschen, freiwilliger Kontaktaufnahme u.ä. geht.
Wir haben ja bereits weiter oben festgestellt, dass individuelle Persönlichkeit, Sozialisierung, Umwelt, Vorerfahrung und genetische Ausstattung Einfluss darauf haben, wie sich unser Hund verhält und welche Bedürfnisse er hat. Häufig werden engagierte Hundehalter mit der absolut demotivierenden und meist auch nichtzutreffenden Aussage konfrontiert, ihr Hund würde nur deshalb weglaufen, weil er keine gute Bindung zu ihnen hätte. In den seltensten Fällen liegt jedoch hierin die Ursache des Problems.
Grundlage für das Zurückkommen des Hundes im Freilauf ist selbstverständlich ein sauber aufgebautes Rückruftraining. Doch warum klappt es mit dem Zurückkommen trotzdem manchmal nicht, auch wenn sich der Mensch mit seinem Hund von Welpenbeinchen an intensiv beschäftigt und das Rückrufsignal stets mit etwas Positivem verbunden hat?
Die Antworten können sehr unterschiedlich sein und erfordern in den meisten Fällen einen weiten Blick über den Tellerrand des Signalaufbaus. Wenn ein schneller, lauffreudiger Hund 2x täglich eine halbe Stunde an der kurzen Leine ausgeführt wird und das auch noch langsam, muss es niemanden verwundern, wenn dieser Hund jedwede Gelegenheit nutzen wird, zu rennen, egal, wie oft man ihn ruft. Hier steht das Bedürfnis der Bewegung klarerweise höher als die Kooperationsbereitschaft. Gleiches gilt für einen passionierten Jäger, der mangels Alternativbeschäftigung oder aufgestautem Frust durch die Einschränkung der Leine und das Verbot des Suchens und Erkundens den Spaziergang mit dem Menschen in wildreichem Gebiet unter Dauerstress weniger als gemeinschaftliche schöne Unternehmung erleben wird, sondern eher als Strafmarsch.
Wir könnten diese Liste anhand der oben aufgezählten Punkte noch endlos weiterführen, doch das Weglaufen bedeutet keinesfalls generell, dass diese Hunde keine liebevolle oder vertrauensvolle Bindung zu ihrem Halter haben. Es bedeutet lediglich, dass – im einfachsten Fall – das Rückrufsignal nicht ausreichend etabliert und generalisiert wurde- oder dass die Motivation hinter der eiligen Abkehr vom Menschen einen tieferliegenden Grund hat, den aufzuspüren und zu verändern wiederum unsere Motivation sein sollte.
Dieser Beitrag wurde von Martha Verena Höhr (Leitung der Hundeschule Willenskraft Graz & Umgebung) verfasst.
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