Qualzucht bei Hunden: Müssen wir Hundezucht neu denken?
Ein Interview mit der Biologin Rebecca Bauer und Bianca Oriana Willen
Rebecca: Qualzucht ist die gezielte Zucht von Tieren, bei der die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere vernachlässigt werden, um bestimmte Wesens- und Körpermerkmale zu erzielen. Betroffen sind also nicht nur Hunde, die durch Zucht körperliche Schmerzen erleiden – sondern auch Hunde, die aufgrund der Selektion nach körperlichen und psychischen Merkmalen in ihrem Ausdrucksverhalten eingeschränkt sind.
Im Tierschutzgesetz sind keine konkreten Rassen als verboten gelistet, sondern eben nur Symptomatiken, die auch nicht näher definiert sind. Also, was ist Atemnot? Wieviel Prozent taub geborene Hunde sind vertretbar, damit die Rasse noch als gesund gilt? Beim Dalmatiner sind es z. B. knapp 10 Prozent, die mit einer Hörbehinderung zur Welt kommen.
Die momentan so beliebten Merle-Hunde haben ein signifikant erhöhtes Risiko für ein- oder beidseitige Taubheit – sie fallen aber trotzdem nicht in die Kategorie Qualzucht. Leider werden die Rassestandards von Zuchtverbänden und nicht etwa von Tierärzten festgelegt. Diese definierten Standards zielen dabei vor allem auf die Optik, nicht aber auf die Gesundheit des Hundes ab.
So ist laut VDH (Verband für das Deutsche Hundewesen, größter deutscher Dachverband für Hundezucht) ein Mops, der 15 Minuten am Stück mit 4-8 km/h laufen kann, ohne dabei krankhafte Atemgeräusche zu entwickeln, ein gesunder Mops. Des Weiteren ist der Begriff “Leiden” im Tierschutzgesetz nicht genauer ausformuliert, sodass es im Endeffekt wieder Auslegungssache von einzelnen Menschen ist, ob ein Hund nun leidet oder nicht. Und diese einzelnen Menschen sind im Zweifelsfall eben Hundezüchter.
Die schnellsten körperlichen Veränderungen durch Zucht kann man wohl bei Hunden beobachten, die gerade “in Mode” sind. Bei fünf der derzeit zehn beliebtesten Hunderassen in Deutschland finden wir Merkmale der Qualzucht. Sie werden in Richtung eines Extremes gezüchtet: besonders groß, klein, flauschig, faltig – die Liste ist lang.
Vorsicht ist bei allen Rassen geboten, deren körperliche Proportionen stark von denen eines Wolfes abweichen. Kurze Beine, verkürzte oder tief getragene Rute, veränderte Kopfform. Auch neue Farbschläge oder ein immer höherer Weißanteil können problematisch sein – oft kommt es zu Problemen mit der Haut, den Augen und/oder den Ohren. Weitere Anzeichen für Qualzucht bei Hunden sind übermäßiger Schleim im Rachen oder in der Nase, Atemnot, abnormale Zahnstellung, übermäßige Fettschicht und abnormale Fellstruktur.
Qualzucht kann man erkennen, indem man sich über die Rasse und ihre spezifischen Gesundheitsprobleme informiert, bevor man einen Welpen kauft. Man sollte auch den Züchter besuchen und sich davon überzeugen, dass die Welpen in einer sauberen und gesunden Umgebung aufwachsen.
Verhindert werden kann Qualzucht, indem man sich für Rassen entscheidet, die weniger anfällig für gesundheitliche Probleme sind und indem man verantwortungsvolle Züchter unterstützt. Zudem sollte man sich Gedanken über hündische Kommunikation machen: Wichtige Instrumente der hündischen Kommunikation sind Rute, Ohren, Augen und Schnauzenmimik. Sind diese Sinnesorgane normal ausgebildet und gut sichtbar, kann eher von einer verantwortungsvollen Zucht ausgegangen werden.
Beide spielen eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung von Qualzucht. Züchter, indem sie verantwortungsvoll handeln. Hundebesitzer, indem sie sich für gesunde und ethisch gezüchtete Hunde entscheiden.
Züchter haben die Verantwortung, gesunde und ethisch gezüchtete Hunde zu produzieren und sicherzustellen, dass die Welpen in einer sauberen und gesunden Umgebung aufwachsen, in welcher der richtigen Sozialisierung nichts im Wege steht. Als Interessent kann man Erfahrungsberichte von früheren Kunden einholen oder sich an Zuchtverbände wenden, um zu überprüfen, ob der Züchter registriert ist.
Doch Vorsicht! Nicht alle registrierten Züchter züchten auch gesunde Hunde. Deshalb haben in meinen Augen vor allem die künftigen Hundebesitzer die Verantwortung, sich im Vorfeld über die Rasse zu informieren und die Finger von unseriösen Angeboten zu lassen.
Und sollte man tatsächlich an einen unseriösen Züchter geraten sein: Niemals einen Hund aus Mitleid kaufen! Man mag diesen einen Hund retten können, aber für jeden gekauften kranken Hund steht schon der nächste in der Warteschlange. Ganz abgesehen davon, dass man viel Zeit und Geld beim Tierarzt lassen wird.
Da im Tierschutzgesetz keine konkreten Rassen verboten sind, sind dem Veterinäramt weitestgehend die Hände gebunden, gegen Qualzuchten vorzugehen. Ob ein Hund eine Qualzucht ist, bleibt somit eine Einzelfallentscheidung, die mit wahnsinnig viel Bürokratie verbunden ist. Deshalb ist es ein schwieriges und langwieriges Unterfangen, rechtlich gegen Qualzucht vorzugehen.
Die Strafen für Qualzüchter können je nach Land und Region unterschiedlich sein. Mögliche Strafen können Geldbußen, Haftstrafen oder sogar die Entziehung der Zuchterlaubnis sein. Leider sind die Geldbußen so niedrig angesetzt, dass es sich trotz drohender Strafen lohnt, diese Hunde zu züchten. Die beste Möglichkeit, Qualzucht zu unterbinden ist, diesen Vermehrern keine Hunde mehr abzukaufen. Würde niemand diese Qualzuchten kaufen, gäbe es sie nicht.
Durch Qualzucht verursachte gesundheitliche Probleme können Schmerzen und Unbehagen auslösen – das wiederum kann das Verhalten der Hunde beeinflussen. Die Hunde leiden häufig unter Stress, Angst, Aggressionen und Unsicherheit. Oft sind sie übertrieben reizempfänglich, maßlos wachsam oder entwickeln Ressourcenthematiken. Das Lernen und die Anpassung an neue Umgebungen und Situationen fällt Hunden aus Qualzuchten oft schwer.
Des Weiteren werden den Hunden oft körperliche Merkmale oder Charaktereigenschaften angezüchtet, die zu Kommunikationsschwierigkeiten unter den Hunden führen und dadurch zu mehr Stress im Alltag. Auch die Interaktion mit Menschen kann dadurch beeinträchtigt werden.
Wie bei gesunden Hunden auch, ist die Sozialisierung das A und O. Mit Mitleid ist keinem Hund geholfen. Wichtig ist, dass man sich als Mensch-Hund-Team für alles wappnet, was im Alltag problematisch werden kann. Das bedeutet, man sollte sich schon früh Gedanken machen, welche zucht- oder rassebedingten Thematiken auf einen zukommen können.
Eine Krankenversicherung – wenn man sie denn für diesen Hund überhaupt bekommt – wird sich in den meisten Fällen lohnen. Eine gute Pflege und medizinische Behandlung sind für von Qualzucht betroffene Hunde essentiell. Auch mit gezielter Verhaltensmodifikation und Erziehung kann diesen Hunden geholfen werden. Dabei ist es wichtig, professionelle Hilfe von erfahrenen Hundetrainern oder Verhaltensberatern in Anspruch zu nehmen, um individuelle Lösungen für die Bedürfnisse des Hundes zu finden.
Die frühzeitige Erziehung und Sozialisierung von Welpen tragen maßgeblich dazu bei, dass Hunde gesunde und stabile Verhaltensmuster entwickeln. Dadurch können sie sich besser an neue Umgebungen und Situationen anpassen. Das spielt eine wichtige Rolle in der Verhinderung bzw. Schadensbegrenzung von Qualzucht, da die Hunde dadurch weniger anfällig für Verhaltensprobleme sind und ein glücklicheres Leben führen können.
Interviewpartner – Biologin Rebecca Bauer
Interview und Design by Bianca Oriana Willen (Inhaberin der Hundeschule Willenskraft & Akademie) .